Symbole - ein Bild, viele Bedeutungen

Wieso sehen die Erwachsenen in der ersten Zeichnung des "Kleinen Prinzen" von Saint-Exupéry etwas anderes als er selbst? Und was hat der Elefant, der von einer Boa verschlungen wurde, mit den Tierkreiszeichen und ihren Symbolen zu tun?

Wer kennt sie nicht, die Zeichnungen des Kleinen Prinzen im Buch von Antoine de Saint-Exupéry? 

Der Kleine Prinz hat in einem Buch über den Urwald gelesen, dass eine Boa ihre Beute als Ganzes verschlingen kann und er fertigt daraufhin Zeichnung 1 an. Er zeigt sie den Erwachsenen und fragt sie, ob ihnen seine Zeichnung keine Angst macht? Da sie nicht verstehen, was der Kleine Prinz da eigentlich gezeichnet hat - sie vermuten einen Hut -, macht er eine zweite Zeichnung, um zu erklären, dass sie eine Boa zeigt, die einen Elefanten verschlungen hat. Die Erwachsenen empfehlen dem Kleinen Prinzen mit dem Zeichnen aufzuhören und sich stattdessen mit etwas Vernünftigem wie Mathematik oder Grammatik zu beschäftigen ...

Die beiden Zeichnungen sind zunächst einmal das Zeugnis einer regen Fantasie. Ein Vergleich zeigt aber auch die Einfachheit, die in Bild 1 zum Ausdruck kommt, während Bild 2 weitaus differenzierter ist. Ähnlich verhält es sich mit einem Symbol: Es stellt eine vielschichtige und komplizierte Situation in einem einfachen, kompakten Bild dar.

Es lässt sich jedoch noch etwas anderes von großer Bedeutung daran ablesen: Jeder Mensch hat einen eigenen Bezug zu einem Bild oder Symbol. Was für den Kleinen Prinzen eine Boa darstellt, die einen Elefanten verschlungen hat, das ist für die anderen ein Hut. Ein Symbol ist mehrdeutig, d.h. es enthält mehrere Sinngehalte. Es kann zwar mittels verschiedener Methoden aufgeschlüsselt werden, aber nur wenn sich dem Betrachter der ganz eigene, individuelle Sinn offenbart, kann es seine Wirkung entfalten und im Bewusstsein integriert werden.

Symbole entstehen, indem Bilder mit verschiedenen Bedeutungen in Verbindung gesetzt werden. Zur Zeit der Jäger und Sammler hat der Mensch die Natur beobachtet. Er verfolgte die Planetenbewegungen am Himmel und wusste, dass beim Sternbild Widder der Frühling einsetzte. Die Kraft der Sonne nahm zu, der Schnee schmolz, Pflanzen keimten und erste Sprösslinge durchdrangen die Erdoberfläche. Ein neues Jahr war geboren. 

Ab jetzt konnte er wieder als Krieger auf die Jagd gehen. Dazu benötigte er Waffen wie Messer und Speer. Auf diese Weise wurde das Sternbild Widder mit den Begriffen Frühling, Keim, Sprössling, Geburt, Durchdringung, Aktivität, Jagd, Krieger und spitze Waffen verbunden.

Die Entstehung solcher Bildketten, auch Analogien genannt, ist ein wichtiger Baustein des kreativen Denkens. Sowohl der junge Sprössling als auch die Waffe des Jägers ähneln sich darin, dass sie etwas Durchdringendes haben. Andere Formen der Analogiebildung kommen durch eine Bedeutungsübertragung zustande. So kann die Halskette, die die Mutter ständig trug, für die Mutter selbst stehen (räumliche Nähe). Analogiebildung durch zeitliche Nähe kann z.B. geschehen, wenn sich beim Tod eines geliebten Menschen der Himmel verdunkelt, so dass ein grauer, wolkenverhangener Himmel künftig mit Trauer und Tod assoziiert wird.

Die beiden letzten Arten der Analogiebildung verdeutlichen eindrücklich, dass Symbole mit persönlichen Erlebnissen und Erfahrungen belegt sind und nur der Träumer selbst sie deuten kann. Der Berater unterstützt den Prozess, indem er durch gezielte Fragestellungen den individuellen Sinn entdecken hilft. Er bietet zusätzlich verschiedene archetypische Bedeutungen an, aus denen der Klient den für ihn zutreffenden wählt. Diese Wahl geschieht dadurch, dass ein bestimmtes Bild oder ein Sinngehalt im Klienten etwas an-rührt und in Bewegung setzt.

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